25. April
Bozen/Kardaun – Brixen – Pustertal – Bruneck
Manchmal – so auch an diesem Morgen und noch des öfteren an diesem Tag – würde ein einziges kleines Wegweiserschild genügen und die Freuden des Radtourfahrens wären um viel Ärger ärmer. Die verkehrsjuristischen Schilder (Radweg Anfang – Ende, die unzählbaren STOP-Schilder bei jeder Radwegkreuzung …) sind allesamt da, kosten Unmengen Geld und helfen dem Wegsuchenden kein bisschen. Und ich war nicht der einzige, der sich ärgern musste, weil die Radwegplaner so oft gerade dort KEIN Schild aufstellen, wo es mehrere Optionen des Weiterfahrens gibt. So, damit wären über dieses international erlebbare Phänomen genug Worte verloren.
Eisacktal – ein paar km ober Bozen
Viel enger als alle bisherigen „Pforten“, durch die sich Alpenflüsse ihren Weg bahnten, ist das Eisacktal bei Bozen. Die Verkehrswege kreuzen einander über- und untereinander, überm Bach und auch im Berg, wohin die schnelleren Trassen ausgewichen sind. Die Eisacktal-Radroute verläuft zum großen Teil auf der Trasse der alten Brennerbahn – also Tunnels und keine großen Rampen und Anstiege. Schon jetzt herrscht eine hohe Verkehrsdichte am Radweg – meistens jedoch entgegen Kommende, Bergabfahrer – inklusive Tempobolzer der amici sportivi, meist mit grimmig kämpferischen Gesichtsausdruck und den mit Marken vollgepflasterten Trikots. Heute ist Feiergag in Italien, das Wetter wunderschön, also haut Mann und Frau sich in Schale – das gilt auch für die Sporttrikots. Tourenradler sind nach wie vor selten und wenn, dann fahren auch sie hier bergab.
Bei einer Verfahrmöglichkeit habe ich Glück und erhalte die vom Ärger befreiende Auskunft von einer ebenfalls bergauf fahrenden, einheimischen Mountainbikerin. Das hat ca. 5 Kilometer Geplauder zur Folge, dann muss sie wieder umkehren. Als Lone Rider freut man sich doch so ab und zu über eine Ansprach‘, die über die complimenti und die woher-wohin-Fragen hinausgeht.
Sanierte Holzbrücke über den Eisack
Man muss schon vieles übersehen oder bewusst wegschauen, um die vielhundertjährige Geschichte der Raubritterei bis zur Tirol-Werdung vor dem inneren Auge erstehen zu lassen. Aber auch die Minne und Oswald, nämlich der von Wolkenstein, werden kurz wiedererweckt. Nur kurz, macht nichts – ich hab‘ eh für solche Aktivitäten zu viel geschwitzt und der Atem hat auch nicht den geruhsamen Rhythmus dafür.
Eisack bei Weidbrück, Trostburg, Eingang ins Gadnertal
Die Bischöfe von Brixen zählten jahrhundertelang zu den reichsten Grundherrn. Wer viel solcher Reichtümer erworben, erpresst, erbeutet hat, muss sich und sie auch schützen. De Dom und auch die Pfarrkirche sind hier sogar Teil der Stadtmauer, der Turm hat nicht wenige Schießscharten, Ich gehe durchs Weißturmtor und dann hinüber zum Bischofspalast, wo auch das bischöfliche Museum untergebracht ist.
Brixen – die von Kirchen gebildete Stadtmauer
„Gaismair – ähhh – wie war noch sein Vorname?“ die Museumsbedienstete war zwar bemüht, aber überfordert. Die Suche im Register des hier im Museum präsentierte Brixen-Führer erbrachte auch nichts. Michel Gaismair , berühmtester bischöflicher Sekretär, Buchhalter der Grundbesitz- und Zehenteinnahmen der kirchlichen Herrn, hatte um etwa 1520 die Seiten gewechselt und wurde zum intelligentesten, klügsten Anführer der Bauernaufstände und -kriege zwischen 1524 und 1528. Seine vormaligen Dienstgeber mussten zeitweise aus Brixen flüchten, weil auch die Stadtbürger unter der ausbeuterischen heiligen Herrschaft so litten, dass sie sich – temporär – mit den Bauern verbündeten. Die machten – wie so oft in der Geschichte – die revolutionäre Drecksarbeit. Als es den Stadtbürgern zu heiß wurde, die geistlichen Zinserpresser aber unter dem Druck der Bauern nachlassen mussten, war’s mit der städtischen Solidarität wieder vorbei.
altes Tor (mit Türl) des Bischofspalastes
Nein, also im bischöflichen Museum wüsste sie von keiner Gedenktafel – und ihr ist auch keine von der Stadt angefertigte bekannt, sagte mit dem Ausdruck höflichen Bedauerns die Museumsfrau. Es war wohl nur eine kurze Phase der Wiederbelebung der Geschichte des Michel Gaismair in den späten 1970er und 80er Jahren. Die 1809-Andreas-Hofer-Festivitäten sind allemal tauglicher, um die weltlich-sakrale Machterhaltung im heiligen Land Tirol zu perpetuieren. Gaismair – äh? Der hat sich doch auch mit diesem Luther … und dem Münzer Thomas ….
„Aber die Einschusslöcher in der bischöflichen Palasttüre, die erinnern noch an die Bauernaufstände,“ gab mir geschichtsbeflissen die Museumsfrau zu verstehen.
Einschusslöcher im Tor des Bischafspalastes aus den Bauernkriegen 1525
Ich bringe mit einem Bananensplit und reichlich Schlagobers meinen Energiehaushalt wieder auf den erforderlichen Leistungslevel. Noch ein Bildchen von der herausgeputzten Brixner Altstadt, den Wohlfühlgässchen und immer wieder erstaunlichen Blicken und Raumstaffelungen.
durch’s Weißturmtor in die Altstadt – oben wacht der Tiroler Adler
Brixen Altstadt
Die aus dem Pustertal kommende Rienz fließt weit unten in einer Schlucht, also sind gleich nach Brixen eine gehörige Portion Höhenmeter zu pedalieren – und schön warm ist es nun auch. Fahrverbote gibt’s für bici bei Straßentunneln auf der strada statale – den Pustertalradweg meide ich, weil er wirklich nur der Entsorgung der Radler und Radlerinnen von der Autostraße dient und sich dabei aller möglichen Karrenwege über Buckel und in Schluchten hinunter bedient. Ist ja ganz nett für sportive Tagesausflügler, für Radfernfahrer ist das eine Pflanzerei. Eine der zahlreichen Tunnelumfahrungen bringt mich zu einer alten bäuerlichen Ansiedlung.
Bauernhaus im Pustertal, Sonnenburg
Bauernhüuser im Pustertal, Sonnenburg
Hier waren jene Bösewichte zuhause, die das Bischofspalasttor mit Bleikugeln und Mistgabeln durchlöchert hatten ….
Wie man weiß, waren ja auch in dieser Revolte nicht alle einer Meinung und daher auch nicht alle auf derselben Seite. Zu gerne hätte ich die Geschichte dieses baulichen Unikats erfahren:
Bauernhaus mit eigener Kapelle, im Pustertal, Sonnenburg
Ein einfaches Bauernhaus baulich verschmolzen mit einer Kapelle – die alten Fresken zeigen auch eine Maria. Lutherisch kanns also nicht sein. Ich bleibe unwissend und werde es nicht herausfinden, ob diese Bauersleute die Kapelle vorher oder nachher …. und wem sie damit wohl etwas andeuten wollten …
Blick zurück aufs untere Pustertal mit Bruneck
Ich schau noch, dass ich genug Körndln in den Beinen habe, um über Bruneck hinauszukommen. Es gelingt, allerdings bin ich beim Blick zurück ins untere Pustertal nach fast 1000 bergauf geradelten Höhenmetern schon ziemlich leer. Die Grenze des Einzugsbereichs des Skiberges Kronplatz ist mit dem Aufhören der Gastgewerbebetriebe schlagartig sichtbar. Diese Grenze habe ich – um dem Brauneck-Nepp zu entkommen – erst sehr spät entdeckt; zum Glück nicht zu spät. Gute Nacht!